17.01.2022

Mehr Hype als Substanz: Die Präsenz der Gruppe Wagner in Mali

Das Machtspiel zwischen Frankreich und Mali in der zweiten Jahreshälfte 2021 hat die Aktivitäten des privaten russischen Söldner-Unternehmens Wagner in Westafrika ins Rampenlicht gerückt. Der mögliche Einsatz von Wagner Söldnern, dem europäische Amtsträger bis zum vergangenen Sommer kaum Beachtung geschenkt hatten, zwang üblicherweise zurückhaltende Akteure wie Deutschland, zu diesem Thema Stellung zu beziehen, und führte im Dezember 2021 zu einer die Aktivitäten der Gruppe verurteilenden Resolution des EU-Parlaments. Verstärkt durch die Spannungen zwischen Russland, Europa und den Vereinigten Staaten sowie durch den schwindenden Einfluss Frankreichs in der Sahelzone in Westafrika wurde Wagner zu einem unerwarteten Druckmittel für westafrikanische Länder und zu einem weiteren Ziel europäischer und US-amerikanischer Sanktionen gegen Russland.

Die Verwendung von Drittparteien als Druckmittel ist ein Klassiker in politischen Machtspielen, und die Präsenz von Söldnern in Afrika, Asien und dem Nahen Osten ist weit verbreitet. Das Besondere an der Gruppe Wagner ist jedoch sowohl die erhöhte Bedeutung, die externe Akteure ihr beimessen, als auch wie sie umfassendere außenpolitische Maßnahmen maskiert, die in verschiedenen afrikanischen Regionen stattfinden. Als solche könnte die Gruppe Wagner als eine falsche Fährte in den neuen Machtkämpfen bezeichnet werden, welche die großen Weltmächte auf dem afrikanischen Kontinent führen.

Obwohl Söldner selbst oft unpolitisch sind, können sie weitreichende und signifikante Auswirkungen auf die Außen- und Sicherheitspolitik haben, sowohl bilateral als auch multilateral, insbesondere jene, die wie Wagner staatlichen Machtstrukturen nahe stehen. Dieser Einfluss zeigt sich in ihrer Wahrnehmung und der Umsetzung und ist deutlich erkennbar in der Neuausrichtung der aktuellen Strategie zur Terrorismusbekämpfung für die Sahelzone, den westlichen Beziehungen zu afrikanischen Staaten sowie der generellen Machtdynamik zwischen China und Russland sowie ihrer jeweiligen Dynamik mit dem Westen.

WAGNER ALS DRUCKMITTEL

Geschlagen in Mosambik, effektiver beim Töten von Zivilisten als von Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik oder die Verwicklung in Kampfhandlungen in verschiedenen afrikanischen Bergbauregionen und gleichzeitig nur sehr begrenzte Erfolge in Libyen und Syrien vorweisen können – Wagners Beitrag ist bestenfalls schwach. Wenn überhaupt führt Wagners Anwesenheit eher zu mehr Unsicherheit als zur Wiederherstellung von Ordnung oder Stabilität. Daher ist es operativ unbegründet, die Gruppe als potenziell wirksame Sicherheitsalternative oder als Bedrohung für die internationalen Missionen in Konfliktgebieten wahrzunehmen und darzustellen.

Obwohl die operativen Aktivitäten der Gruppe in Mali derzeit noch sehr begrenzt sind, sind Wagner-Mitarbeiter seit einigen Wochen im Land stationiert. Faszinierender ist daher der europäische Aufruhr um ihre Präsenz in Mali, denn die grausamen und gewalttätigen Aktivitäten der Gruppe in der Zentralafrikanischen Republik, die laut Gerüchten geführten Diskussionen mit der nigerianischen und burkinischen Regierung, ihre Präsenz in Libyen und ihre frühere Mission in Mosambik wurden weitgehend übersehen und erzeugten in Europa keine größeren Bedenken. Tatsächlich wäre Wagners Präsenz in der Zentralafrikanischen Republik wahrscheinlich nicht möglich, wenn Frankreich nicht zwei vom UN-Sicherheitsrat gewährte Ausnahmen vom Waffenembargo gegen das Land unterstützt hätte. Diese ermöglichten Russland 2018 und 2019 Waffen an die Zentralafrikanische Republik zu liefern, während der gleiche Antrag von China im Jahr 2019 abgelehnt wurde.

Wenn nun die Effektivität der Gruppe zweifelhaft ist und ihre tatsächlichen Operationen historisch gesehen von begrenztem politischem Interesse sind, dann muss Frankreichs und Europas Problem mit Wagners Engagement in Mali eine Frage des Ortes und der Zeit sein. Anders formuliert ist das wahre Problem, dass das malische Regime Wagner benutzt, um erfolgreich Frankreichs politische Bluffs zu entlarven.

Ironischerweise hat Frankreich selbst die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Mali Wagner effektiv als Druckmittel gegen seinen ehemaligen Kolonialherrscher einsetzen kann. Wenngleich die Gespräche mit Wagner-Vertretern bereits im Februar 2021 ernster wurden, beschleunigten sie sich im Juni und Juli nach dem sogenannten „zweiten Putsch“ in Mali im Mai 2021. Während dieser Zeit akzeptierte und erkannte Frankreich die neue Regierung im benachbarten Tschad an, als sie nach dem Tod von Präsident Idriss Deby im April de facto mit einem Putsch an die Macht gelangte. Gleichzeitig verurteilte Frankreich jedoch die Absetzung und Inhaftierung von Malis offiziellem Präsidenten Bah N’Daw und Premierminister Moctar Ouane, wodurch die regionale Doppelmoral Frankreichs offensichtlich wurde.

Als Reaktion auf den Putsch versuchte Frankreich, mit seiner Militärpräsenz in Mali Druck auf das Regime auszuüben. Zunächst drohte es mit dem Abzug und dann kündigten es das Ende seiner „opération barkhane“ und den Rückzug aus dem Land an. Anstelle der erhofften Wirkung beschleunigte diese Entscheidung jedoch die Diskussionen zwischen dem malischen Regime und Wagner, und der mögliche Einsatz von Wagner Söldnern in Mali wurde als Ersatz für die abziehenden und unbeliebten Franzosen deklariert. Gleichzeitig schloss das malische Regime erfolgreich Gespräche mit der chinesischen Regierung über Waffengeschäfte im Wert von einer Milliarde Dollar ab, was den französischen Einfluss im Land weiter schwächte. Konfrontiert mit politischer Erpressung wandten die malischen Anführer den klassischen Schachzug an, die Gegner als Druckmittel einzusetzen, um eine Bedrohung abzuwehren und die Oberhand zu gewinnen – und so wie es nach dem politischen Salto Frankreichs aussieht durchaus mit Erfolg.

DIE SICH RAPIDE VERÄNDERNDE SICHERHEITSLANDSCHAFT IN WESTAFRIKA

Während die kurzfristigen politischen Gewinne durch den Einsatz von Russland und China als Druckmittel erheblich waren, dürften die mittel- und langfristigen Auswirkungen aufgrund militärischer, politischer und wirtschaftlicher Faktoren negativ sein. Erstens vermittelt Wagners gesamte Historie, wie oben beschrieben, nicht unbedingt den Eindruck von Effektivität bei der Herstellung sicherer und stabiler Umgebungen. Außerdem deutet ihre wahllose Herangehensweise an Operationen darauf hin, dass sie in einer Region, in der es bereits zahlreiche Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte gibt, tatsächlich hervorstechen könnte als gewalttätigster Sicherheitsakteur. Dies würde offensichtlich ein schlechtes Licht auf das gegenwärtige Regime werfen, genauso wie Verbindungen zwischen Übergriffen durch Angehörige der malischen Streitkräfte (FAMA) und der französischen und internationalen Präsenz in Mali zu bestehen scheinen.

Zweitens, während der Fokus bei der Erörterung von Sicherheitsfragen in der Sahelzone in europäischen politischen Kreisen irrtümlicherweise weitgehend auf Mali bleibt, sieht die Realität vor Ort so aus, dass die Konfliktdynamik in der Sahelzone schnell zunimmt und nun mehr und mehr Küstenstaaten wie Benin, Togo, die Elfenbeinküste oder Senegal verschlingt. Darüber hinaus bereitet die Ausdehnung der Konfliktdynamiken aus Burkina Faso und Mali nach Osten, u.a. verbreitet durch Al Qaida und IS nahe Gruppen, berechtigte Sorgen hinsichtlich einer Vermischung mit den Konflikten, die aus der Region des Tschadsees stammen und sich von dort nach Westen verbreiten bis in die Konfliktzonen im Nordwesten Nigerias. In diesem Zusammenhang ist es höchst unwahrscheinlich, dass Wagners Präsenz in Mali – und Gerüchten zufolge potenziell auch in Burkina Faso oder Nigeria – die Sicherheit in der Region verändern wird. Sie sollte weder die Wirksamkeit der regionalen Sicherheitskonzepte beeinträchtigen, noch ist es wahrscheinlich, dass Wagner seine Aktivitäten auf die gesamte westafrikanische Region ausweitet. Noch wichtiger ist, dass Wagners Präsenz nicht die hauptursächlichen soziopolitischen und sozioökonomischen Herausforderungen beeinflusst, die das exponentielle Anwachsen der Unsicherheit in der ECOWAS-Region ermöglichen.

Neben Terrorismus ist der anhaltende Rohstoffkonflikt in Afrika zwischen Russland und China ein weiterer Unsicherheitsfaktor, an dem Wagner maßgeblich beteiligt ist. Sowohl in der Zentralafrikanischen Republik als auch in der Demokratischen Republik Kongo wurden Angriffe von Wagner und russischen Akteuren auf Bergbaustandorte in chinesischem Besitz oder unter chinesischer Verwaltung gemeldet. Gleichzeitig sind auch Vorwürfe über ähnliche Angriffe in anderen afrikanischen Ländern wie Guinea in den letzten zwölf Monaten lauter und zahlreicher geworden. Dieses Problem ist seit April 2021 ein Faktor, der zu dem erheblichen Anstieg chinesischer Söldnertruppen in Afrika geführt hat, insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo, was darauf hindeutet, dass der Konflikt auch für China an Bedeutung gewinnt. Wagners Historie der letzten zwei Jahre in diesem Bereich legt nahe, dass ihre Beteiligung an diesen „Nebenoperationen“ nicht nur die Konfliktdynamiken an Standorten des Bergbaus in der Sahelzone katalysiert, sondern auch Bedingungen für ein stärkeres chinesisches Engagement in der Region schaffen könnte – was die EU und die Vereinigten Staaten vermutlich nicht gutheißen werden.

KURZFRISTIGE VORTEILE GEGEN HOHE LANGFRISTIGE KOSTEN

Eine uneingeschränkte Bindung an Wagner und Russland würde einen hohen politischen Preis für das malische Regime bedeuten, sowohl international als auch im Inland, selbst wenn die kurzfristigen Vorteile verlockend wären, wie die Umgehung von Menschenrechten oder eine Reform des Sicherheitssektors. Regional isoliert nach den ECOWAS-Sanktionen im Januar 2022 werden die Auswirkungen der Grenzschließungen und die Einstellung des Handels mit dem verarmten Binnenland Mali das malische Regime entweder dazu zwingen, sich ECOWAS und internationalen Bedingungen zu unterwerfen oder sich an Russland und China zu wenden, um politische und wirtschaftliche Unterstützung zu erhalten. Sollten sich die malischen Führer für die letztere Option entscheiden, zeigt die jüngste Geschichte der Politik Russlands und Chinas in der Region, dass sie dem Regime Bedingungen auferlegen werden, welche die malischen Behörden jahrzehntelang durch Kredite und „Monopole für Dienstleistungen“ oder „Monopole als Kreditgarantie“ fesseln werden. Diese Situation würde es Russland und/oder China auch ermöglichen, die Bedingungen vollständig zu diktieren, und der Einfluss, den die malischen Behörden glauben zu haben, würde sich verflüchtigen.

Im Inland ist es unwahrscheinlich, dass die Kombination aus Wagners minimalem Effekt auf die Sicherheit in Verbindung mit einer Zunahme an Menschenrechtsverletzungen eine Bevölkerung für sich einnehmen wird, die bereits an den Lebensbedingungen verzweifelt und genug von den militärischen Einmischungen internationaler Akteure hat. Noch wichtiger ist, dass die Konfliktdynamiken in Mali und der Sahelzone Teil eines hochkomplexen sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Ökosystems verschiedener Schattierungen sind, die eine eindeutige Kategorisierung lokaler Akteure als Freund oder Feind einschränken. Dies ist eine Unterscheidung, die viele Malier selbst nicht treffen wollen, wie zahlreiche Erklärungen malischer Beamter seit Januar 2020 zeigen. In einem solchen Kontext ist es schwierig anzunehmen, dass Wagners üblicherweise willkürliche, plumpe Vorgehensweise einen effektiven und positiven Einfluss auf dieses Ökosystem haben wird, von dem die lokale Bevölkerung abhängig ist.

In den letzten Jahren verstärkte sich die Symbiose aus formeller und informeller Wirtschaft, eine Kernkomponente dieses Ökosystems, u.a. durch Terrorismus, Naturkatastrophen und fehlende institutionelle Unterstützung. Aktuell verschärfen Einheiten des Islamischen Staates und Al-Qaidas diesen Zustand noch durch die strategische Anwendung der „Wirtschaftskriegsführung“, die auf Telekommunikationstürme kommunale Blockaden abzielt. Dies gilt insbesondere für das vom Konflikt am stärksten betroffene „Dreiländereck“ Zentral- und Ost-Mali, Nord-Burkina Faso und Südwest-Niger, in dem Wagner-Personal vermutlich überwiegend eingesetzt wird. Sollte die Gruppe die gleiche Taktik nutzen, die sie in der Zentralafrikanischen Republik in der Dreiländerregion anwendet, könnte dies die fragile wirtschaftliche Infrastruktur des Ökosystems empfindlich stören und eine der ärmsten Regionen der Welt zusätzlich belasten.

Abschließend schränken die Missachtung und der mangelnde Respekt der Wagner-Mitarbeiter gegenüber den örtlichen Sicherheitskräften in Verbindung mit deutlichen Zeichen von Rassismus die effektive Zusammenarbeit mit den örtlichen Armeen und der Polizei ein. Wie die Beteiligung der Gruppe in der Zentralafrikanischen Republik gezeigt hat, könnte sie zudem tatsächlich eine Sicherheitsbedrohung für diese Streitkräfte darstellen. In einer Region, in der eine gute Zusammenarbeit zwischen Sicherheitskräften und Milizen unerlässlich und standardisiert ist, wird eine funktionierende operative Zusammenarbeit mit Wagner daher noch problematischer. In Kombination könnten all diese Faktoren die Unterstützung der Bevölkerung für das Regime und die Armee sowie die eigene Glaubwürdigkeit des Militärs weiter schwächen und gleichzeitig dazu beitragen, Bedingungen für ähnliche Massenproteste und soziale Unruhen zu schaffen, wie sie 2019 und 2020 zu Regierungswechseln führten.

DIE ZUKUNFT INTERNATIONALER MISSIONEN IM SAHEL

Obwohl sich Frankreich und die Vereinigten Staaten der Sicherheit in der Sahelzone und in Westafrika verpflichtet haben, einschließlich des Austauschs und der Zusammenarbeit bei der Anwendung der sogenannten „Obama-Doktrin“, die sich auf den Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugen und Spezialeinheiten bei ausländischen Sicherheitsoperationen konzentriert, bleibt das tatsächliche europäische und amerikanische Engagement für die Sicherheit Westafrikas lauwarm. Abgesehen von Frankreich und den USA gibt es in den europäischen Staaten wenig oder gar kein wirkliches Verständnis dafür, warum eine internationale Intervention erforderlich ist und wie die Situation vor Ort ist. Auch Überlegungen, welche Folgen die Ausbreitung des Terrorismus in Afrika – wo sowohl Einheiten Al-Qaidas als auch des Islamische Staates derzeit die stärksten ihrer jeweiligen Organisationen sind – für die Bevölkerung des Kontinents und die europäischen Interessen haben werden, sind nicht vorhanden oder werden außer Acht gelassen. Schließlich haben viele Länder wie Deutschland keine klaren Ziele oder Absichten, die ihre Politik für die Region leiten, und begnügen sich damit, den schwankenden politischen Trends Frankreichs zu folgen, wodurch der europäische Ansatz für die Sahelzone vage und hohl klingt.

Infolgedessen steht Großmächten wie Russland oder China die Tür weit offen, eine größere Rolle in einer Region zu spielen, die Europa immer noch herablassend als seine „Außengrenze“ und „Einflusssphäre“ betrachtet, und beide Länder maximieren diese Gelegenheit wirtschaftlich und militärisch. Wenn die Hebelkraft verringert werden soll, welche Wagner für Staaten in ihrer Machtdynamik mit großen internationalen Akteuren darstellt, müssen die europäischen Staaten und die USA eine präzise Politik für Westafrika entwickeln, die auf nationaler Ebene von verlässlichen Zielen getragen wird und eine klare Antwort auf die Frage gibt, warum greifen wir ein?

Da die Europäische Union Afrika als Wirtschafts- und Sicherheitspriorität für ihre „strategischen Autonomie“ Ambitionen ins Visier nimmt, ist eine Neubewertung der europäischen Missionen in Mali und der Sahelzone angemessen. Wie bei der Afrikapolitik der USA müssen die Antworten jedoch mehr liefern, als dem russischen oder chinesischen Einfluss entgegenzuwirken, da dies nur kurzfristige Ziele sind. Sie sollten sich auf langfristige Alternativen konzentrieren, die Länder wie Mali dazu anregen, sich für die europäische und/oder amerikanische Unterstützung zu entscheiden, anstatt sich den kurzfristigen Vorteilen zuzuwenden, die Hilfe aus Russland oder China verspricht. Dies wäre eine wirksamere Politik und abschreckender, als den Wert eines ineffektiven Akteurs wie Wagner überzubewerten.