25.01.2022

Putsch in Burkina Faso: Realpolitik und sich verändernde geostrategische Dynamiken

Der Militärputsch in Burkina Faso am 24. Januar kam nicht völlig unerwartet, da seit Monaten Gerüchte über Wut und Unmut aus militärischen Rängen über die Regierung lauter geworden waren und der Anschlag auf eine Militärbasis in Inata am 12. November, bei der über 50 Soldaten starben, diese noch deutlich anfachte. Darüber hinaus hat die burkinische Regierung seitdem eine Reihe hochrangiger Militärs mit Anhängern der Regierung ersetzt, um der Putschgefahr entgegenzuwirken. Die Möglichkeit eines Staatsstreichs in Burkina Faso war zunehmend zu einer Frage des „Wann“ und nicht des „Ob“ geworden.

Burkina Faso ist nun das dritte Land der Sahelzone seit August 2020, das einen Putsch erlebt, während ein weiterer Versuch in Niger im März 2021 vereitelt wurde. Es ist auch der vierte Staatsstreich in Nordafrika in weniger als einem Jahr nach Tschad, Guinea und Sudan. Dies deutet darauf hin, dass die Abschreckungsmittel der internationalen Gemeinschaft nicht greifen, um diesen Trend zu stoppen, und dass die Militärherrscher in der Region wenig Hindernisse auf dem Weg zu einer Machtergreifung sehen.

Für internationale Akteure, ihre Interessen und ihr Engagement in Afrika sind die Auswirkungen des Putsches erheblich. Wie sehr sind die europäischen und nordamerikanischen Länder gewillt, mit Militärregierungen in der Region zusammenzuarbeiten? Werden sie die neue Regierung widerwillig als vollendete Tatsache hinnehmen und versuchen, mit ihr zu kooperieren, in der Hoffnung, dass die Rückkehr zu einer Zivilregierung innerhalb eines „vernünftigen Zeitrahmens“ erfolgen wird? Wird angesichts der Ausbreitung des Terrorismus und der steigenden Unsicherheit in Westafrika die Realpolitik das Vorgehen internationaler Missionen in der Sahelzone diktieren, jetzt wo Militärs den größten Teil der Region beherrschen? Und wenn Europäer und Amerikaner beschließen, Burkina Faso nach dem Putsch mit Sanktionen zu belegen, wird dies anderen Akteuren wie Russland oder China die Tür weiter öffnen, wenn die malischen und burkinischen Obrigkeiten nach ihnen mehr entgegenkommenden Partnern suchen?

Noch wichtiger: Sollte das neue Regime in Burkina Faso von einer deutlichen Unterstützung der Bevölkerung profitieren, wie dies in Mali der Fall war, könnte der neue Staatsstreich dann eine kurzfristige Neuregelung der Normen bezüglich der Legitimität einer Regierung erzwingen? Sollte die Legitimität struktureller Natur (Wahlen) sein oder definiert sie sich durch die Unterstützung der Bevölkerung, auch wenn sie illegal ist?

DOPPELMORAL UND DIE SANKTIONSFALLE

Im Mai 2021 hat Frankreich Militärregime mit zweierlei Maß gemessen, indem es die Herrscher des Tschad als legitim anerkannte, aber die von Mali verurteilte und unter Druck setzte. Auf ähnliche Weise tadelt Deutschland die Regierung in Mali, schweigt sich aber relativ aus über die Militärherrschaft im Tschad, in Guinea und im Sudan. Währenddessen erscheinen die USA in ihrer Position ambivalent und verurteilen und unterstützen die Behörden in diesen Ländern gleichzeitig. Die ECOWAS hat den gleichen Spagat in ihrem Ansatz gegenüber Militärregierungen gezeigt und harte Sanktionen gegen Mali verhängt, aber keine oder nur begrenzt gegen Tschad und Guinea.

Da die Sanktionen durch Normen für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Menschenrechte gerechtfertigt sind und theoretisch für alle gelten, werden sie durch einen à la carte Einsatz nur geschwächt. Damit wird der Putsch in Burkina Faso zur Bewährungsprobe: Werden die für Mali geltenden Maßstäbe auch an Burkina Faso angelegt, oder wird letzterer wie der Tschad von einer Ausnahmeregelung profitieren? Die europäische Politik würde wahrscheinlich noch mehr ihrer bereits schwachen Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie nur Mali sanktioniert, aber nicht den Tschad und Burkina Faso, oder wenn nur der Tschad ausgenommen bleibt. Daher wird die Art und Weise, wie die EU und die USA mit der Situation in Burkina Faso umgehen, entweder als Durchsetzung bestehender oder als Schaffung neuer Normen wahrgenommen werden. Eine Durchsetzung könnte zu einer Neubewertung der Ausnahme für den Tschad führen und möglicherweise den aktuellen Putschtrend in Westafrika abmildern, während neue Normen Mali zu einer ungerechtfertigten Ausnahme machen und militärische Machtübernahmen de facto normalisieren würden.

Leider mischen geostrategische Erwägungen mit bei der Verhängung von Sanktionen gegen Burkina Faso, sollten Westmächte oder die ECOWAS diesen Weg wählen. Zusätzliche Sanktionen gegen einen Sahel-Staat würden mehr Anreize schaffen, sich an Russland und China zu wenden, um „unverbindliche“ Unterstützung zu erhalten. Und was noch wichtiger ist: Sanktionen gegen Burkina Faso, entweder auf Ebene der EU oder ECOWAS, würden die schwachen Volkswirtschaften einer der ärmsten Regionen der Welt weiter schädigen. Die Hoffnung, durch wirtschaftliche Isolation Druck auf die Herrscher eines Landes auszuüben, hat ohnehin schon schwerwiegende Folgen für die lokale Bevölkerung. Es wird jedoch verheerend, wenn diese Maßnahmen regional angewendet werden. In diesem Fall würden nur die lokalen Bevölkerungen leiden, während eine solche Politik denjenigen zugutekäme, die wie Terroristen von informellen Strukturen und Unsicherheit profitieren.

UMGANG MIT VOLLENDETEN TATSACHEN

Nach dem Putsch in Burkina Faso könnte man argumentieren, dass es jetzt ein „Sudan-Modell“ gibt, wenn es um militärische Machtübernahmen geht. Obwohl es als solches nicht geplant war, scheint ein Übergang von der Militärherrschaft zurück zur Zivilherrschaft „innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens“ jetzt die Norm zu sein, da auch internationale Institutionen wie die UN diese Formel bei der Verlautbarung eines Staatsstreiches verwenden. Wenig verwunderlich wurde das gleiche Format oder die gleiche Formel nach den Staatsstreichen in Mali, im Tschad und jetzt in Burkina Faso verwendet. Wie sowohl die neuesten Entwicklungen im Sudan wie in Mali nahelegen, geht es bei der Anwendung dieser Formel daher eher um die Beschwichtigung internationaler Akteure als um ein tatsächliches politisches Ziel.

Während der Widerstand im Sudan stark war, profitierten die militärischen Machtübernahmen in Nordafrika in den letzten 18 Monaten von deutlicher Unterstützung der Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ist es nicht nur fair, die lokale Legitimität von Militärregierungen in Betracht zu ziehen, sondern auch davon auszugehen, dass die derzeit bestehenden Regierungen keinen wirklichen Übergang zu einer zivilen Herrschaft anstreben werden. Daher muss sich die internationale Gemeinschaft mit diesen Regierungen auseinandersetzen, um ihre verschiedenen Politiken in Afrika zu verfolgen, unabhängig von der Übereinstimmung der Regierungen mit Rechtsstaatlichkeit, guten Regierungspraktiken oder Menschenrechten.

DIE RUSSISCHEN UND CHINESISCHEN VARIABLEN

Die sich verschiebende Machtdynamik in Afrika erschwert die politische Arbeit im Bezug auf den Sahel, da Russland, China und viele andere Länder eine engere Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten anstreben. Um Konflikte zu bewältigen, politischen Druck abzubauen oder um Einfluss in ihren politischen Beziehungen zu westlichen Akteuren zu gewinnen, stehen afrikanische Staaten wie Mali, die Zentralafrikanische Republik und andere diesem Umwerben positiv gegenüber. Das könnte auch für Burkina Faso gelten, da die frühere Regierung mutmaßlich bereits Gespräche mit der russischen Söldner-Gruppe „Wagner“ über einen möglichen Einsatz im Land geführt hat, um das Militär zu unterstützen und den Terrorismus zu bekämpfen.

Wie Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht am 22. Januar in einem Interview sehr deutlich machte, wollen die Westmächte nicht, dass Russland in Westafrika vordringt, und Deutschland sollte seine Missionen in der Sahelzone als Teil der MINUSMA und der EUTM aufrechterhalten, um dem russischen Einfluss entgegenzuwirken. Zuvor hatte Frankreich auf das Interesse Russlands an Mali bereits mit einer Rücknahme seiner Entscheidung reagiert, sich trotz früherer Ankündigung aus dem Land zurückziehen, während die USA gleichzeitig ihre Unterstützung für französische Operationen in der Sahelzone verstärkten. Es reicht also die bloße Vorstellung aus, dass Russland in eine der „Einflusssphären“ Europas eindringt, um die politische Dynamik für internationale Präsenz und Zusammenarbeit in der Sahelzone zu verändern, auch wenn dies ein kurzsichtiger und fehlgeleiteter Ansatz ist. Grundsätzlich könnte ein solcher Wandel einige der zahlreichen Bedingungen vermeiden, die normalerweise mit westlicher Intervention und Unterstützung einhergehen, während er den Militärherrschern einen erheblichen politischen Einfluss verschafft.

BURKINA FASO IST DIE NEUE TERRORISMUS-SCHLEUDER IN WESTAFRIKA

Obwohl der politische Schwerpunkt in der Terrorismusbekämpfung weitgehend auf Mali liegt, ist es Burkina Faso, das im letzten Jahr das größte Wachstum terroristischer Aktivitäten zu verzeichnen hat. Seit 2016 haben sich terroristische Aktivitäten in Burkina Faso, von kleinen Angriffen bis hin zu Blockaden von Gemeinden, vom nördlichen Teil des Landes auf seine östlichen, westlichen und südlichen Regionen ausgeweitet. Darüber hinaus ist der Terrorismus seit 2018 langsam, aber effektiv aus dem Süden Burkina Fasos in die Nachbarstaaten Elfenbeinküste, Ghana, Togo und Bénin vorgedrungen, wobei die Elfenbeinküste und jetzt Bénin den Großteil der Angriffe zu verzeichnen haben. Damit ist Burkina Faso das Land, das am meisten Hilfe benötigt und mit dem eine verbesserte Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung dringend erforderlich ist.

Diese Situation trägt zu der schwierigen Frage bei, wie mit dem Putsch in Burkina Faso umgegangen werden soll. Wenn die Bekämpfung des Terrorismus in Afrika eine Priorität bleibt oder noch höher eingestuft wird, wären dann Sanktionen oder eine begrenzte militärische Zusammenarbeit nicht kontraproduktiv? Können Sicherheits- und Antiterrormaßnahmen für die Sahelzone und Westafrika wirksam sein, wenn die Zusammenarbeit sowohl mit Mali als auch mit Burkina Faso eingeschränkt ist? Wie die wachsenden Spannungen zwischen internationalen Partnern und Mali nahelegen, wirken sich schlechte Beziehungen auf militärische Missionen und humanitäre Initiativen aus, und es ist wahrscheinlich, dass internationale Akteure nicht wollen, dass sich das Szenario in Burkina Faso wiederholt.

Schlussendlich hat eine Militärregierung in Mali nicht zu mehr Sicherheit geführt. Ganz im Gegenteil, terroristische und kriminelle Aktivitäten haben seit dem Putsch im August 2020 weiter zugenommen und sich im ganzen Land und in der Region ausgebreitet. Da Burkina Faso mit einer exponentiell wachsenden Unsicherheit konfrontiert ist und nur über sehr begrenzte Mittel verfügt, ist kaum davon auszugehen, dass das Regime in Ouagadougou mehr Erfolg als sein Pendant in Bamako haben wird. Daher ist die Verbesserung der Sicherheitsbedingungen in Burkina Faso mit ausländischer Unterstützung verbunden. Die EU, ihre Mitgliedsstaaten und die USA müssen nun entscheiden, ob sie diejenigen sind, die diese bereitstellen oder eventuell Konkurrenten die Tür öffnen.

WAS SOLLTE DER POLITISCHE SCHWERPUNKT SEIN?

Anstatt zu drohen und zu sanktionieren, sollten internationale Akteure lokale Wirtschafts- und Sicherheitsdynamiken zu den wichtigsten Faktoren ihrer Gestaltung und Einrahmung von Politik machen. Der gemeinsame Nenner der Staatsstreiche in Mali und Burkina Faso sind verärgerte Militärs, die sich selbst als Kanonenfutter im Kampf gegen Terrorismus und Unsicherheit in der Sahelzone betrachten und dass sich sowohl das Militär als auch die Zivilbevölkerung von ihren Regierungen im Stich gelassen und vernachlässigt fühlen, die in keinerlei Position sind, ihre Bedingungen zu verbessern. Dies schafft Bedingungen für die Unterstützung einer militärischen Übernahme, insbesondere für die nahe Zukunft.

Daher sollte sich der politische Ansatz eher auf die Mittel- und Langfristigkeit und die Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen als auf die Art der Regierung konzentrieren. Der Schwerpunkt sollte darauf liegen, die Entwicklung der Bedingungen, die zu einer Unterstützung für militärische Machtübernahmen durch die Bevölkerung führen, zu verhindern oder wenigstens zu vermindern, anstatt Regime zu sanktionieren. Das Ziel sollte sein, eine Zivilregierung glaubwürdig und effektiv zu gestalten, in der die Institutionen und Systeme die lokalen Dynamiken und Bedürfnisse verkörpern und wo eine vom Militär geführte Regierung keine tragfähige Option ist.

Auf kurze Sicht sollte die Politik für Westafrika und die Sahelzone nicht von geopolitischen Rivalitäten diktiert werden, auch wenn ein solcher Ansatz die politische Unterstützung für außenpolitische Initiativen schnell festigen kann. Die Priorität sollte nun darin bestehen, Entwicklungsprogramme in Staaten zu beschleunigen, in denen das Verhältnis zwischen Staat und Militär weiterhin brüchig ist, wie Niger. Letztendlich sollte die Politik für die Sahelzone als Teil der erweiterten west- und zentralafrikanischen soziopolitischen Dynamik verstanden werden, anstatt sich auf ein bestimmtes Land wie Mali zu konzentrieren.

Zurückhaltende Akteure wie Deutschland sind nach dem Putsch in Burkina Faso gezwungen, klarere Antworten auf ihre Afrika-politischen Fragen zu geben, als sie bisher zu finden bereit waren. Die aktuelle Situation erzwingt auch eine Neubewertung der geostrategischen Prioritäten für Nordafrika und wie sich diese neuen Prioritäten in allgemeinere politische Themen wie „strategische Autonomie“, Rivalitäten mit Russland und China und die europäische Sicherheit einfügen. Da einige Länder derzeit über eine Ausweitung ihrer Teilnahme an internationalen Missionen in Afrika debattieren, müssen diese Antworten schnell erfolgen und über kurzfristige Notwendigkeiten hinausgehen.