16.01.2018

Bleiben oder gehen? Was machen wir mit festgenommenen ausländischen Kämpfern?

Es ist bereits eins der heißesten Sicherheitsthemen 2018 und wird es wohl auch noch eine Weile bleiben: Sollen ausländische Kämpfer – insbesondere jene, die ihre Zugehörigkeit an den IS geschworen haben – in ihre Heimatländer zurückkehren dürfen? Interessanterweise wurde die Diskussion erst nach dem Sturz von Rakka und dem brandaktuellen Fall von Emilie Koenig, einer französischen Kämpferin, die derzeit bei den Kurden in Haft sitzt, zum Mainstream, obwohl gefangen genommene ausländische Kämpfer schon lange vor dem Zusammenbruch des sogenannten Islamischen Staates 2017 in ihre Heimatländer gebracht wurden.

Viele der gefangenen Kämpfer baten direkt die Staats- und Regierungsoberhäupter ihrer Länder darum, sie sicher nach Hause zu bringen, nun da der IS sie nicht länger schützen kann und will. Daraus hat sich eine sehr brisante Diskussion entwickelt, deren Hauptaspekte sich konzeptionell auf Politik, Legalität, Moral und die Sicherheit des Themas konzentrieren. Doch die praktischen Elemente wie die Gefängniskapazitäten der Kurden sind kaum diskutiert worden. Sollte Letzteres nicht mehr Gewicht in dieser Diskussion haben als die anderen Faktoren?

Ich werde hier einen kurzen Überblick über die Schlüsselargumente der Diskussion geben und zeigen wie letztendlich die legalen, moralischen und politischen Aspekte nicht die entscheidenden Faktoren sein werden, ob ausländische Kämpfer in ihre Heimatländer zurückgebracht werden oder nicht.

Die Politik

Heimkehrende Kämpfer sind ein Thema, bei dem sich lokale, nationale und internationale Politik jederzeit gegenseitig verdrängen können. Auf lokaler Ebene können sich Abgeordnete aktiv für oder gegen die Rückkehr eines Kämpfers einsetzen, da ihr Wahlkreis direkt davon betroffen ist. Ist das Gefängnis, Rehabilitations- oder Deradikalisierungs-Zentrum, in dem die Kämpfer sich aufhalten werden, in ihrem Bezirk? Ist die lokale Sorge wichtiger als die Regierungspolitik oder Parteilinie? Viele Politiker haben nicht damit gezögert das Thema Terrorismus oder Geflüchtete zu nutzen, auch wenn sie ihren Parteien und Regierungen damit abtrünnig wurden, um letztendlich die Unterstützung ihrer Wähler zu behalten. Jede Entscheidung bezüglich ausländischer Kämpfer kann eine Wahl zum Erfolg bringen oder zum Scheitern verurteilen und Lokalpolitiker werden sehr vorsichtig sein, die negativen Auswirkungen jeglicher Entscheidung oder Politik sehr gering zu halten.

Auf nationaler Ebene befürchten Regierungen, im Umgang mit Terrorismus zu weich auszusehen. Würde die Finanzierung der Rückkehr einer Person, die ihrem Land den Rücken zugekehrt hat, sowie die Versorgung mit Obdach und Nahrung – selbst wenn es in einem Gefängnis ist – als Minimierung des Verbrechens angesehen? Wir beobachten seit 2015 wie das Thema Flüchtlinge Regierungen und Länder spaltet und politisch ziemlich teuer sein kann, z.B. in Deutschland. Daher ist das Engagement für etwas, das politisch noch schädlicher sein kann – ohne einen genauen, langfristigen Plan – einfach keine Option für westliche Regierungen. Sie werden wahrscheinlich eher dafür sorgen wollen, dass die Aufmerksamkeit rund um die Diskussion gering bleibt und vorzugsweise eine Position einnehmen, in der sie auf die „lokalen Einrichtungen vertrauen“.

International ist die Sachlage noch verzwickter, vor allem aufgrund der kurdischen Frage. Es besteht kein Zweifel daran, dass die verschiedenen kurdischen Kämpfer-Gruppen in Syrien und im Irak einen großen Anteil an der Niederlage des IS haben und dass sie viel in diesem Kampf geopfert haben. Doch es ist auch wahr, dass ihr Erfolg gegen den IS ihr größter Trumpf in ihrem Ringen um die Unabhängigkeit ist und dass sie versuchen werden, diesen Trumpf mit größtmöglichem Gewinn einzusetzen. Das bedeutet, dass sie die Prominenz und die Ressourcen, die sie in den letzten vier Jahren angehäuft haben, nutzen werden, um Druck auf internationale Akteure auszuüben, damit diese wiederum Zugeständnisse machen und sie auch offiziell als legitimen, zukunftsfähigen Partner im Nahen Osten anerkennen. All das hoffen sie wird zur Unabhängigkeit oder dem nächstbesten Zustand führen.

Hierin liegt für westliche Länder die Problematik der kurdischen Frage, besonders in Syrien: Nicht mit der Assad-Regierung verhandeln zu wollen und gleichzeitig die Kurden offiziell und institutionell anerkennen – was wie ein Stich ins Wespennest wirken könnte und die Türkei völlig antagonisieren würde. Gleichzeitig müssen die Kurden ausreichend anerkannt werden, um 1) die YPG und angehörende Gruppen als Vertreter und Partner in den Kämpfen gegen die syrische Regierung und den IS nutzen zu können; und 2) muss den „kurdischen Institutionen genügend Vertrauen geschenkt werden“, damit diese ausländische Kämpfer davon abhalten zurückzukehren und stattdessen vor Ort verurteilt und inhaftiert werden. Anders gesagt ist der Versuch, internationale Politik durch Einmischung zu minimieren, eine Strategie, die selten funktioniert.

Deshalb ist der politische Aspekt der rückkehrenden Kämpfer bei so vielen miteinander konkurrierenden, kurzfristigen Interessen in Kombination mit einer fehlenden kohäsiven und umfassenden Außenpolitik für die Region ein Problem der kurzfristigen politischen Instrumentalisierung, bei der es darum geht, entweder einen schnellen Nutzen zu erzielen oder einen Verlust zu minimieren. In beiden Fällen ist es unwahrscheinlich, dass die mittel- und langfristigen Faktoren, die zurückkehrende Kämpfer mit sich bringen, umfassend berücksichtigt werden oder dass die Problematik vollumfänglich überblickt wird.

Die Moral

Seit die Diskussion öffentlich geworden ist, haben viele die Position einiger Regierungen unterstützt, die Rückkehr der ausländischen Kämpfer abzulehnen. Das Hauptargument, das vorgebracht wird ist, dass ausländische Kämpfer ihrem Land den Rücken zugekehrt haben und daher ihre ihnen vorher zustehenden Rechte und Privilegien verwirkt haben. Im Wesentlichen ist es das Prinzip von Verantwortung und der Akzeptanz der Konsequenzen aus den eigenen Entscheidungen. Der Haken an dieser Sichtweise ist, dass sie sehr subjektiv ist und nicht dem Anspruch einer „zweiten Chance“ sowie der Unschuldsvermutung entspricht, die in vielen westlichen Gesellschaften propagiert werden. Schließlich ist in der Theorie jeder so lange unschuldig bis seine Schuld bewiesen wurde und die Tür steht so lange für eine andere Interpretation offen bis in einem Prozess belegt wurde, dass Vorsatz und Schuldfähigkeit bestanden. Familien-Organisationen die sich für die sichere Rückkehr ausländischer Kämpfer und Deradikalisierung sowie Wiedereinführungsprogramme einsetzen argumentieren, dass es Raum für mögliche Irreführung, Reue und Wandel gibt, wodurch das Argument, ausländische Kämpfer müssten zu ihren Taten stehen und die Konsequenzen tragen, nicht mehr ganz so eindeutig erscheint – auch wenn wir es gerne so hätten.

Mitte, Ende der Nuller Jahre arbeitete ich an einigen Projekten, die erforschten warum einige Länder einen „legalen sicheren Ort“ erforderten an dem sie Terroristen gefangen halten konnten, während andere Länder das nicht brauchten. Die USA und Großbritannien benötigten Guantanamo, Diego Garcia sowie Extraordinary Rendition-Programme, während Frankreich und Deutschland die Terroristen-Frage innerhalb des bestehenden legalen Rahmens behandelten. Diese Situation wurde durch den Fall von Jose Padilla noch interessanter, ein amerikanischer Bürger, der zum feindlichen Kämpfer erklärt wurde aber weniger als 24 Stunden in Guantanamo verbrachte, bevor er in eine militärische Einrichtung überführt wurde. Letztendlich fand sein Prozess auf US-amerikanischem Boden und nach US-amerikanischem Recht statt mit all dem Schutz und den Beschränkungen die dies beinhaltet.

Ein wichtiger Unterschied, den wir herausfanden, war kulturell und hängt davon ab, wie ein Bürger wahrgenommen wird. Für Länder, die einen größeren Fokus auf die Rechte des Einzelnen richten, wie die USA, Großbritannien und die Niederlande, schafft Terrorismus eine Situation, in der der Bürger nach wie vor all seine Rechte behält, auch wenn die Straftat des Terrorismus das Wohlergehen der „Nation“ oder der Gemeinschaft bedrohte. Daher bedurfte es des speziellen rechtlichen Terminus „feindlicher Kämpfer“ sowie der Notwendigkeit, diese Gefangenen außerhalb der zivilen Jurisdiktion zu halten. In Ländern wie Frankreich und Deutschland werden die Rechte der Gemeinschaft höher eingestuft als die des Einzelnen. Im Grunde bedeutet dies, dass sobald eine Person die Gemeinschaft bedroht, der mutmaßliche Terrorist den Vorrang seiner Rechte vor denen der Gemeinschaft „verwirkt“ hat, eine Position die im strafrechtlichen Standard bereits festgeschrieben ist. Kurz gesagt, man wird nur als Teil der Gemeinschaft angesehen, wenn man sich selbst mit ihr identifiziert und ihre Rechte respektiert.

Mit dem Thema der zurückkehrenden ausländischen Kämpfer finden wir uns in genau dieser Diskussion wieder: Sollte jemand, der die Gemeinschaft bedroht, trotzdem legal berechtigt sein, den Schutz der Gemeinschaft in Anspruch nehmen zu dürfen oder hat diese Person diesen Schutz verwirkt? Die Brisanz dieser Diskussion während der letzten vier Monate zeigt deutlich, dass es keine einfachen Antworten auf diese Frage gibt, was wiederum bedeutet, dass der Umgang mit Heimkehrern durch das Prisma der Moral nicht die beste Antwort sein mag.

Die Legalität

Überraschenderweise ist dies der einfachste und klarste Aspekt der Diskussion, zumindest auf dem Papier. Dies hängt damit zusammen, dass viele Länder bereits Vorkehrungen in ihren Terrorismusbekämpfungs-Gesetzen getroffen haben, die mit diesem Aspekt umgehen und größtenteils nach 2001 erlassen wurden. Ein mutmaßlicher Terrorist kann für seine Taten in abstentia vor Gericht gestellt und verurteilt werden und wird verhaftet und interniert, sobald er ins Land zurückkehrt. Aber weder bieten sie die Richtlinien, was mit einer Person getan werden soll, die möglicherweise urplötzlich vor der Tür eines Konsulats oder einer Botschaft auftaucht, von der sie Bürger ist, noch bieten sie den Rechtsrahmen, unter dem ein Gefangener aus einem nicht-anerkannten Ort in eine offizielle Institution verlegt wird oder im Falle einer notwendigen Auslieferung.

Während also der legale Aspekt der Rückkehrer-Diskussion eindeutig zu sein scheint, können der Prozess, die Gefangenhaltung sowie die mögliche Auslieferung durch einen nicht-anerkannten Akteur rechtliche Schlupflöcher und Präzedenzfälle schaffen, welche die offensichtliche legale Eindeutigkeit des Themas verschwimmen lassen.

Die Sicherheit

Ein Großteil der Sicherheitsdiskussion rund um Heimkehrer konzentriert sich auf die mögliche Bedrohung, die sie darstellen und daher ist der Gedanke, je weiter sie weg sind, desto besser. Die naive Vorstellung, dass Distanz eine Art des Schutzes wäre, ist allerdings eine sehr trügerische Wahrnehmung.

Im Einleitungsteil dieses Textes habe ich die Bedeutung der Realität vor Ort erwähnt. In Syrien und im Irak sieht die wahre Geschichte ganz anders aus: Die Realität ist, dass die Kurden, trotz anderslautender Behauptungen ihrer Vertreter, schlicht nicht über die Möglichkeiten verfügen, alle ausländischen Kämpfer, die sie in Gewahrsam haben, vor Gericht zu stellen und zu inhaftieren. Ihre Gefängnisse quellen über vor Gefangenen; Ressourcen sind ernsthaft knapp und ausreichend Nahrung für die Gefangenen zu sichern entwickelt sich eher zum Luxus als zur Notwendigkeit; außerdem benötigen sie große Summen Geldes, um mit dem Wiederaufbau zu beginnen, was bedeutet, dass ausländische Gefangene nicht mehr sind als ein finanzieller sowie politischer Trumpf, den sie zweifelsohne einzusetzen gedenken. Die Möglichkeit ist sehr real, dass einige oder alle inhaftierten ausländischen Kämpfer unter dem Motto „Was bringt uns das? Dies sind eure Bürger, also kümmert euch selbst um eure Probleme“ aus der Notwendigkeit heraus oder aufgrund von Verhandlungstaktiken freigelassen werden.

Dies wirft die selten gestellte Frage auf: Ist es besser sie zurückzuholen, mit ihnen umzugehen und zu wissen wo sie sind? Oder sollten Länder es riskieren, dass die ausländischen Kämpfer irgendwie freigelassen werden, vermutlich anderswo Probleme bereiten oder unbemerkt einen Weg zurück finden? Wir wissen, dass die Realität vor Ort es IS Kämpfern erlaubte, aus der Haft in Rakka zu entkommen und dass sich ähnliche Situationen auch in anderen Teilen der Region abgespielt haben. Ich zweifle nicht daran, dass die Kurden nach der besten Lösung suchen, welche die Inhaftierung der ausländischen Kämpfer vorsieht, aber die Realität vor Ort, die Instrumentalisierung der Gefangenen sowie die Präzedenzfälle von Entlassungen durch Bestechung und politische Aktivitäten in Nachbarregionen sagen mir, dass es nicht die sicherste Wahl ist, die ausländischen Kämpfer dort zu lassen.

Also was dann?

Bringt sie zurück. Ja, es wird teuer sein. Ja, es besteht ein geringes Risiko, dass sie Unsicherheit in ihren Heimatländern schüren könnten. Aber wenigstens werden wir wissen wo sie sind, was sie tun und wie sie es tun. Die aufrichtig Bereuenden werden möglicherweise Schlüsselfiguren der Abschreckung sein und Einblicke in den Gedankenprozess und die emotionale Entwicklung liefern, welche sie dazu brachte, sich mit einer terroristischen Organisation einzulassen und ihr Land zu verlassen. Sie zurückzubringen ist ein kontrolliertes Risiko, auch wenn die Politik oder Moral dabei ein Problem darstellen.

Terrorismus ist eine der heimlichsten Bedrohungen, die es gibt. Terroristen oder Möchtegern-Terroristen zu identifizieren ist extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Aber im Fall der inhaftierten ausländischen Kämpfer sind diese bereits identifiziert und lokalisiert, was ein riesiger Vorteil ist. Wenn wir uns diese potentielle Möglichkeit aufgrund von politischen oder philosophischen Einwänden entgehen lassen – egal wie wichtig beide für Gesellschaften sind – gehen wir das Risiko ein, diesen Vorteil zu verlieren und haben dadurch das umso größere Risiko, sie ein zweites Mal zu verlieren.