01.02.2016

Die ständige „Wiederauferstehung“ von Boko Haram

Am 24. Dezember 2015 hat Nigerias Präsident Muhammudu Buhari gesagt, dass “Boko Haram technisch bezwungen wurde”, da sie (nach seiner Aussage) nicht länger „konventionelle Anschläge auf Kommunikationszentren und Bevölkerungsgruppen artikulieren könnten“. Die terroristische Organisation sei auf Anschläge mit IEDs beschränkt und daher eine geringere Gefahr. Nur Präsident Buhari und seine Entourage wissen, warum er solch eine Aussage gemacht hat, obwohl die Regierung und die Armee in der Vergangenheit eine fürchterliche Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf Boko Haram gezeigt haben. Die Aussage war nicht nur merkwürdig weil sie falsch ist – nach wie vor starben Dutzende Menschen durch Anschläge, einschließlich am Tag nach der Aussage – sondern auch weil sie in einer Zeit getroffen wurde, in der Boko Haram in der Vergangenheit sehr aktiv gewesen ist.

Am 31. Januar 2016 hat Boko Haram einen weiteren Anschlag auf Gombi ausgeführt, voran gegangen waren die Überfälle auf Dalori, Wanori und Kofa am 30. Januar, bei denen nahezu 100 Menschen starben. Dies war der siebte Tag in Folge, der vierte Anschlag in Nigeria während dieser Zeitspanne, in der Boko Haram entweder mit Selbstmordattentätern Anschläge verübte oder Dörfer angriff, einschließlich in Kamerun und im Tschad. In den sieben Tagen tötete die Organisation fast 200 Menschen und traf drei Länder mit verschiedenen Taktiken. Die Organisation begeht erneut eine Terrorismus-/Mordserie, die Wochen andauern kann wie so häufig zuvor 2014 und 2015.

Boko Haram (deren offizieller Name ISWAP ist) ist eindeutig nicht bezwungen, weder technisch noch sonst wie. Genauso wenig stehen sie „mit dem Rücken zur Wand“. Sie sind stark, haben Zugang zu zahlreichen Ressourcen und sind seit August 2013 stetig gewachsen. Das Ziel dieses Artikels ist es, einen gewissen Grad an Verständnis für die Ursachen des fast sieben Jahre andauernden Konflikts zu liefern und einen Ausblick auf eine mögliche baldige Änderung der Situation zu geben.

Warum Boko Haram „immer wieder zurückkommt“

BH, wie Al Shabaab, ersteht nicht wieder. Ihre Präsenz und Stärke sind seit vielen Jahren konstant und seit 2013 ist ihre Entwicklung als Organisation und strategisch – ebenfalls konstant gewesen trotz Rückschlägen und Veränderungen. Die Anschlagsmuster waren zyklisch und kontinuierlich, ebenso wie die Taktik, Selbstmordattentate und Angriffe auf Dörfer im Nordosten Nigerias und der Tschadsee-Region zu mischen, wie es sich erneut im Januar zeigte.

Dem „Islamischen Staat“ die Treue zu schwören und sich in „Islamischer Staat Westafrika Provinz“ – Wilāyat Gharb Ifrīqīyyah – umzuformen hat die Entwicklung Boko Harams zusätzlich stark beeinflusst. Viel mehr als eine symbolische Beziehung hat dieser Schachzug BH ermöglicht, auf ein viel breiteres Netzwerk an Ressourcen zuzugreifen, einschließlich Knowhow, Material, Waffen, Fahrzeugen und Geld. Es hat ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Reichweite und Effektivität zu vergrößern und somit eine nicht unwesentliche Präsenz in verschiedenen Ländern zu schaffen, sogar über die Tschadsee-Region hinaus.

Es ist wohl der Zugang zu den Ressourcen, der das größte Problem im Kampf gegen Boko Haram darstellt. Ihr Zugang zu konstanten Strömen von Material und Menschen sichert, dass ihre Stärke immer wieder aufgefüllt wird. Seit Juni 2014 hat die Organisation weit über Hundert Selbstmordattentäter für ihre zahlreichen Anschläge benutzt, üblicherweise drei Selbstmordattentäter pro Anschlag, manchmal fünf. Trotzdem scheint der Strom an Menschen, die bereit sind für Boko Haram zum „Märtyrer“ zu werden, unendlich. Keine andere terroristische Organisation hat es geschafft, so viele Selbstmordattentäter zu nutzen, für so eine lange Zeitspanne wie ISWAP es tut und voraussichtlich auch weiterhin tun wird. So lange sie Zugang zu großen Lieferströmen haben und Menschen gewillt sind für sie zu sterben – der Zugang zu beidem ist bisher konstant – wird Boko Haram erfolgreich sein und ihr Tempo beibehalten.

Warum hat Nigerias Armee so große Schwierigkeiten Boko Haram zu bezwingen?

Es gibt verschiedene Faktoren, einige sind gut bekannt wie Korruption, schlechte Ausrüstung und Moral. Ich möchte mich auf zwei Faktoren konzentrieren, die selten erwähnt werden: Die tatsächliche Strategie der Armee und Nigerias Sicherheitszustand.

Das Problem mit Nigerias Strategie ist der sture Wille, mit Boko Haram nur aus einer militärischer Sicht umzugehen. In der Vergangenheit war die Armee der Sicherheitsgarant für Nigeria und hemmte jede andere Sicherheitsstruktur im Land. Boko Haram kämpft jedoch an verschiedenen Fronten – ideologisch, militärisch, wirtschaftlich, international und politisch – viele davon liegen weit außerhalb der Fähigkeiten der Armee. Trotzdem weigern sich die Armee und die Regierung, dies anzuerkennen. Das schürt nicht nur ihren eigenen Misserfolg, sondern ermöglicht auch ISWAPs Wachstum und Tempo. Es ist schlicht so, dass keine Armee der Welt an allen Fronten effektiv sein kann, insbesondere wenn sie gegen etwas so zerstörerisches und hinterhältiges wie Terrorismus ankämpft.

Es ist daher unabdinglich, dass die nigerianische Armee dies anerkennt und der Nigeria Police Force (NPF), dem State Security Service (SSS), lokalen Gemeindevertretern und der Zivilbevölkerung ermöglicht, ihre Ressourcen zu vervollständigen und dem Kampf gegen Boko Haram beizutreten. Wenn sie dies tun, werden sie die Probleme aufgrund ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit überwinden und in der Lage sein, der ideologischen und finanziellen Anziehungskraft von ISWAP etwas entgegenzusetzen sowie schnellere, flexiblere und besser an die Terroristen angepasste Taktiken anzuwenden. Darüber hinaus werden sie in der Lage sein, proaktiv statt reaktiv – wie bisher immer einen Schritt hinterher – kämpfen zu können und das Blatt gegen Boko Haram zu wenden.

Solange die Terroristen ihr Erfolgsniveau, ihre Anziehungskraft und den Mythos der sie umgibt halten können, werden sie weiterhin wachsen. Das bedeutet mehr Kämpfer und mehr politische Unterstützung. Wenn Boko Haram weiterhin als glaubwürdiger Lieferant finanzieller und physischer Sicherheit angesehen wird – dem geringeren zweier Übel – wird ihre Macht weiter wachsen. Das bedeutet gleichzeitig weniger Unterstützung für die nigerianische Armee und die Regierung. Wenn die Bewohner „befreiter Regionen“ keine verstärkte Sicherheit sehen oder Programme, die bei der Rekonstruktion von Infrastrukturen und sozialen Strukturen in ihren Städten und Regionen helfen, dann werden sie sich weder kurz- noch langfristig sicher fühlen. Das Gefühl von Verwundbarkeit und Unsicherheit wird bleiben.

Dies sind alles Dinge, die dringend geschehen müssen aber nur erreicht werden können, wenn Ego und Prestige beiseite gelegt werden und alle Ressourcen der nigerianischen Gesellschaft komplementiert werden. Es würde der Regierung ermöglichen, eine umfassende, vielfältige und effektive Strategie gegen Boko Haram zu erarbeiten und einzusetzen. Indem stur auf die „ausschließlich Militär“-Strategie gesetzt wird, werden nur die Probleme der letzten sechseinhalb Jahre aufrechterhalten.

Der zweite Faktor, der vielleicht komplizierter ist als der erste, sind Nigerias generelle Sicherheitsprobleme. Zwei Aspekte fallen auf, die den Kampf gegen Boko Haram stark beeinflussen. Der erste ist die wachsende Anzahl von aufständischen Gruppen. In den vergangenen Monaten haben die Indigenous People of Biafra Bewegung (IPOB), die Islamische Bewegung Nigeria und ex-MEND Mitglieder alle den Zorn der Bundesregierung auf sich gezogen. Allen wurde mit politischer Gewalt und Unterdrückung durch die nigerianische Armee begegnet und die Inhaftierung einiger der Anführer – insbesondere von der IPOB und IMN – hat zu Aufrufen nach Rache und Waffengewalt geführt. Währenddessen waren ex-MEND Mitglieder im Januar sehr aktiv, sie verübten zahlreiche Anschläge auf Pipelines und tourten durch lokale Dörfer um Unterstützer zu gewinnen. In allen drei Fällen könnte die Situation rasant eskalieren und die ohnehin schon stark beanspruchten Ressourcen der nigerianischen Armee noch weiter belasten. Kurz gesagt, die Armee könnte in der nahen Zukunft vor vier heimischen Kriegsfronten stehen.

Der zweite Aspekt ist die Wirtschaft. Die fallenden Ölpreise vernichten die nigerianische Wirtschaft, deren Funktionieren extrem abhängig vom Öleinkommen ist. Dies betrifft die Ressourcen, die der Regierung und der Armee zur Verfügung stehen, was wiederum Probleme mit der Bereitstellung von Ausrüstung und Gehaltszahlungen nach sich zieht. Das echte Problem wird jedoch größtenteils aus den Unruhen entstehen, wenn Nigerianer sich noch mehr damit abmühen, ihre Familien zu ernähren. Verzweifelt nach Unterstützung suchend werden viele sich an organisierte Kriminalität und terroristische Organisationen wenden, wodurch die schon jetzt mächtige Kriminalität und Unsicherheit noch weiter wachsen und zu einer fünften Kriegsfront werden wird.

Die Situation in Nigeria ist schlimm aber nicht unumkehrbar. Der Schlüssel ist zu verstehen und zu akzeptieren, dass die derzeitige Art und Weise, wie die Dinge verwaltet werden, falsch ist. Die nigerianische Armee muss verstehen, dass sie nicht allmächtig ist und in ihrem Kampf gegen Boko Haram viel mehr Hilfe braucht als nur neue Waffen. Sie muss verstehen, dass sie mit dem Tschad, Kamerun und Niger zusammen arbeiten muss, um Boko Haram daran zu hindern, ihre Rückzugsorte zu erreichen und sie von ihren Ressourcen, Strömen und Netzwerken trennen muss. Sie muss auch verstehen, dass der einzige Weg, ISWAP tatsächlich zu bezwingen, ist, den Mythos zu zerstören. Dazu benötigt sie aber die Glaubwürdigkeit, die ihr momentan fehlt, und die sie ohne Partner nicht bekommen kann. Sie muss flexibler und nicht starrer in ihrer Herangehensweise an Sicherheit werden.

Die Bundesregierung muss dies unterstützen, indem sie ihre eigene starre Herangehensweise ändert und ihre Wirtschaft breiter aufstellt. So oft wurde mir gesagt und habe ich gelesen, dass Nigeria ein selbst erhaltendes Land mit zahlreichen Ressourcen ist. Es muss diese Vielfalt und diesen Reichtum der Ressourcen wiederentdecken, statt die Abhängigkeit vom Öl beizubehalten. Dies würde Arbeitsplätze schaffen, der Infrastruktur und Moral helfen und Nigeria vor den Fallstricken einer Wirtschaft, die auf einer einzelnen Einnahmequelle beruht, bewahren. Es würde auch helfen, Hoffnung und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

Es ist unabdinglich, dass die Regierung und die Armee die Wege der letzten 50 Jahre hinter sich lassen, wenn sie Terrorismus und Unsicherheit überwinden wollen. Ohne Veränderung, ohne zu akzeptieren, dass Veränderung notwendig ist, werden sie nicht in der Lage sein, sich an aktuelle Bedrohungen anzupassen und es werden Tausende mehr ermordet.