18.02.2015

Paris, Baga, Istanbul … & Kopenhagen: Reaktionen auf Terrorismus – Teil 2

Im ersten Teil dieses Blogposts habe ich die Notwendigkeit einer praktischen und flexiblen Denkweise in der Terrorismusbekämpfung angesprochen. Dies ist jedoch nur möglich wenn die richtigen Strategien angewendet werden, die wiederum auf eine gründliche und aktuelle Einschätzung des Sicherheitszustandes folgen.

3. Nicht vermuten, einschätzen und beurteilen

Zustand und Gegebenheiten im Sicherheitsbereich ändern sich täglich, wenn nicht stündlich, insbesondere in einer globalisierten Welt, in der Ereignisse die Tausende von Kilometern entfernt stattfinden, innerhalb von Minuten die Geschehnisse in unserem Hinterhof direkt betreffen können. Das bedeutet, dass Bedrohungen und Schwachstellen dort auftauchen können wo niemand sie erwarten würde und zur Gefahreneinschätzung eine globale Perspektive benötigt wird.

Nichtsdestotrotz ist Sicherheit auch ortsgebunden. Was bspw. in London funktioniert gilt nicht gleich für Birmingham, Brighton oder Manchester, da die Bedrohungen, Angriffsziele und Möglichkeiten von Stadt zu Stadt und Nachbarschaft zu Nachbarschaft variieren. Dies liegt daran, dass Terrorismus aus den Umständen erwächst, opportunistisch ist und oft hoch persönlich.

An so verschiedenen und äußerst anspruchsvollen Fronten zu arbeiten verlangt fast zu viel von einem System, das eine langsame Kultur des Wandels hat und sich als eher reaktiv denn proaktiv gezeigt hat. Dennoch, auf einzelne Aspekte heruntergebrochen entsteht ein Bild der Sicherheitslage und der Möglichkeiten, flexible und angepasste Strategien umzusetzen. Der erste Schritt ist, zu erkennen was man hat und den Wert möglicher Angriffsziele zu verstehen. Als Student in Paris arbeitete ich an einer Privatschule und ein bestimmtes Merkmal dieser Schule war, dass es kein Schild gab. Es gab keinen Hinweis darauf, was sich in diesem Gebäude befand. Als ich nach dem Grund fragte, bekam ich die Antwort dies sei eine Sicherheitsvorkehrung aufgrund des Stellenwertes der meisten Eltern, damit die Schule nicht als Ziel identifiziert werden könne. Die Schule hatte verstanden, dass sie ein realistisches Ziel für jeden sein könnte, der sich benachteiligt fühlte. Daher lenkte sie so wenig Aufmerksamkeit wie möglich von der Straße auf sich. Das fand ich eine clevere und einfach durchzuführende Lösung, die in jedes Budget passt. Die Schule kannte ihren Wert als Zielscheibe ganz genau.

Es ist essentiell, den richtigen Wert des Angriffszieles einzuschätzen, denn dieser rahmt den Auswahl-Prozess für Terroristen ein. Terrorismus ist im Grunde ein Kampf um Symbole, deshalb ist der Ausgangspunkt für die Einschätzung eines Angriffszieles das Verstehen seines symbolischen Wertes. In den 60er Jahren bspw. verübte die Québecer Terroristengruppe Front de Libération du Québec (FLQ) Anschläge auf Briefkästen und die Robert Nelson Statue da sie das unterdrückerische Regime Kanadas repräsentierten. In letzter Zeit sind die Anschläge auf Soldaten, als Repräsentanten der Militärmacht, in Kanada, Frankreich und Großbritannien verübt worden oder auf jüdische Institutionen. Dies sind symbolische Aggressionen als Antwort auf das was die Terroristen als Angriffe auf ihre Überzeugungen und ihre Interpretationen der Konflikte im Nahen Osten wahrnehmen.

Nachdem der symbolische Wert eingeschätzt wurde, muss der taktische Wert des Angriffsziels ausgewertet werden. Viele Experten beschreiben den Terrorismus nach 9/11 als wahllos und oft auf weiche Ziele ausgerichtet. Dem widerspreche ich ausdrücklich und habe dies bei zahlreichen Gelegenheiten kundgetan. Falls diese Hypothese stimmte, wäre der Dorfbahnhof ein genauso wertvolles Ziel, wenn nicht sogar wertvoller, als der Hauptbahnhof einer Stadt wie Berlin – was keinen Sinn ergibt. Hier kommt der taktische Wert ins Spiel. Die Transportdrehkreuze der Großstädte eines Landes anzuvisieren hat mehr Wert als andere Orte, besonders im Westen, da der Anschlag selten – wenn überhaupt – im Zusammenhang mit einer Aufstandsbewegung erfolgt. Es geht um die Macht des Anschlags und seine Auswirkung. Daher müssen auch „weiche Ziele“ bedeutungsvoll sein, d.h. mögliche Aufmerksamkeit, Wert der Auswirkungen, Störgröße und Machtdemonstration bieten.

Den Zielwert zu verstehen erlaubt uns eine genauere Zuweisung von Ressourcen und mehr Flexibilität. In dem Hype und der Panik die oft nach einem Anschlag entstehen (siehe Frankreich, Belgien oder Dänemark) hilft es wenig, in äußerster Alarmbereitschaft mit massiven Einsatzkräften zu sein, das konnten wir in Frankreich beobachten. Wenn überhaupt dann bietet es weitere Anschlagsziele – oder noch schlimmer – weist Möchtegern-Terroristen auf vorher unbekannte Ziele hin. Ja, es ist eine Machtdemonstration und hat unglaublichen politischen Wert, aber es hilft sehr wenig bei der tatsächlichen Terrorismusbekämpfung. Wenn wir eingehend beurteilte Angriffsziele gründlich überwachten und gezielt beschützten, würden wir die eigentliche Prävention erhöhen, den Sicherheitskräften mehr Bewegungsfreiheit und Reaktionsmöglichkeiten für auftretende Bedrohungen geben und damit gleichzeitig die übermäßige Ressourcenzuteilung auf ein Ziel (auf Kosten eines anderen anzunehmenden Angriffszieles) verringern.

4. Technologie löst nicht jedes Problem

Ein Thema das ich häufig in meiner Laufbahn erlebt habe ist der Fokus auf Technologie – oder auf “Spielzeuge” wie ich sie nenne – statt auf Strategie und Information. Millionen von Überwachungskameras zu haben verhindert keine Angriff, aber es hilft bei der Verfolgung Flüchtiger oder bei den Ermittlungen – Aufgaben die nach einem Anschlag anfallen. Über die aktuellsten Waffen zu verfügen ist nicht abschreckend wenn Terroristen einfache Ausrüstung benutzen und die Kalaschnikov, die sie für ihren Anschlag benutzt haben, häufig das technologisch ausgefeilteste Gerät ist. Der neueste Metalldetektor oder Körperscanner verhindert keinen Anschlag wenn derjenige der ihn bedient nicht seinen Teil beiträgt, wie ich z.B. an verschiedenen Flughäfen feststellen konnte.

Als ich das Thema Boko Haram mit nigerianischen Sicherheitsvertretern diskutierte blieb ihr Hauptanliegen, mehr Waffen zu bekommen. Als ich fragte warum sie Panzer benötigen, um Personen auf Motorrädern oder Mopeds zu bekämpfen – damit andeutend, dass sie weniger unhandliche Mittel bräuchten – steuerten sie die Unterhaltung zurück auf die Waffen. Ähnliche Diskussionen führte ich mit westlichen Entscheidungsträgern, die um mehr Kameras baten, höhere Zäune oder Metalldetektoren. Es geht häufig um das Image. Die neueste Schusswaffe sieht gut aus, mehr Kameras oder Grenztechnologie erweckt den Anschein, ein Problem anzugehen. Aber immer öfter werden die Einsparungen beim Personal gemacht, was zu den echten Fehlern führt, egal in welchem Bereich. Der überarbeitete Sicherheitsbeamte am Heathrower Flughafen, der 15 Sekunden nachdem der Metalldetektor piept reagiert, hätte keinen Selbstmordattentäter daran gehindert, seine Bombe zu zünden, egal wie laut der Detektor gewesen wäre. Stattdessen hätte z.B. eine 15minütige Rotation des Personals – wie sie bei Rettungsschwimmer an Stränden und in Schwimmbädern üblich ist – dem Wachmann erlaubt, fokussiert zu bleiben und den Metalldetektor angemessen zu bedienen. Damit wäre die menschliche Fehlerquelle eingeschränkt und der Wert der Technik maximiert gewesen. Technologie ist gut und eine großartige Bereicherung in der Terrorismusbekämpfung, aber sie übernimmt keine Verantwortung für die Sicherheit, sie bleibt ein Werkzeug. Wenn es nicht genügend qualifiziertes Personal gibt, dieses Werkzeug zu bedienen, wird es zu simplem Schmuck.

5. Den Zustand der Sicherheit verstehen

So schön es auch wäre, wir können Terrorismus nicht ausradieren, ebenso wenig wie wir Massenerschießungen, Mord oder Diebstahl ausradieren können. Wir können nur die Auswirkungen beschränken. Wir können die Wahrscheinlichkeit, dass 200 Menschen in einem Zug sterben, einschränken oder Anschläge auf bestimmte öffentliche Orte wie Museen, aber es ist nahezu unmöglich, Anschläge wie die in Sydney, Ottawa oder Kopenhagen zu verhindern. Manche werden sagen, dass präventive Festnahmen die Lösung sind. Auf dem Papier wäre das korrekt. Aber die wirkliche Frage ist, was passiert nach der Verhaftung? Wo stecken wir potentielle Kriminelle hin, in einer Zeit in der Regierungen mit überbelegten Gefängnissen konfrontiert sind und in der solche Einrichtungen massive Brutstätten für Extremismus sind? Sollten sie an unterfinanzierte Deradikalisierungs-Programme weitergegeben werden unter staatlicher Beobachtung, was noch mehr Druck auf die Ressourcen bedeuten würde? Und was ist mit der alten ethischen Frage von Absicht und Handlung? Sollten wir jemanden für schuldig befinden bis seine Unschuld bewiesen ist?

Der aktuelle Sicherheitszustand ist, dass es jede Minute jeden Tages Bedrohungen und Risiken gibt und wir sie nicht immer verhindern können. Trotzdem konzentrieren wir uns so stark auf die unwahrscheinlichsten Bedrohungen aus verschiedenen Gründen, von denen viele politisch sind. Es ist unbedingt erforderlich, dass wir den politischen sowie den Medien-Hype um Terrorismus bremsen weil er Aufmerksamkeit schafft, er schafft einen Fokus und was am Schlimmsten ist, er inspiriert Einzelne dazu, ihrem Groll gewalttätig Ausdruck zu verleihen.

Nach den Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 reagierte Europa aufgrund seiner Terrorismus-Geschichte moderater als die amerikanische Regierung. Auch nach den Anschlägen in Madrid und London zeigte Europa große Zurückhaltung und Intelligenz, aber seit Ende 2013 sind die europäischen Politiker von der Idee heimkehrender Dschihadisten und potentieller Terroranschläge besessen. Dies ist fast zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Die Terrordrohungen, wie in Braunschweig am 15. Februar 2015, müssen ernst genommen werden und entsprechend bearbeitet werden, aber wir müssen das Ausmaß der Resonanz eingrenzen. Wie der Schriftsteller Percy Kemp einst sagte, wird ein Terroranschlag in einem westlichen Land zehn Mal so starke Auswirkungen haben wie der gleiche Anschlag in Beirut aufgrund der politischen, medialen und soziokulturellen Interpretation und Reaktion. Daher ist es unerlässlich, Zurückhaltung zu zeigen, nicht in unserer Art, Terrorismus zu bekämpfen, sondern in der Art wie wir dies „verkünden“. Da wir nicht verhindern können, dass jede Bedrohung zur Tat wird – das heißt den Sicherheitszustand verstehen und anerkennen – müssen wir uns auf die besten Arten konzentrieren, die Auswirkungen zu begrenzen, indem wir die gleiche Schläue, Flexibilität und Findigkeit an den Tag legen wie die Terroristen bei ihren Angriffen auf unsere Gesellschaften.

Die Lösungen und Strategien in den beiden Teilen dieses Artikels sind Teil einer breiteren Perspektive auf Terrorismus und politische Gewalt. Einige der Lösungen sind nicht neu aber sie warten immer noch darauf, richtig ein- und umgesetzt zu werden. Darum ist es wichtig, sie zu wiederholen. Die wahre Lösung ist jedoch unsere Einstellung zum Terrorismus und zur Terrorismusbekämpfung. Sicherheitskräfte wünschen und wünschten sich mehr Geld und Ressourcen, während Politiker die Grenzen ihrer Budgets respektieren müssen. Terrorismusbekämpfungseinheiten neue Waffen und Ausrüstung zu geben mag sinnvoll auf dem Papier erscheinen, aber es bringt nicht viel, wenn in Wirklichkeit ein Paar zusätzliche Hände, Ohren oder Augen vonnöten sind.

Terrorismus ist überaus persönlich, verwurzelt in Identität und romantischen Vorstellungen. Er braucht keinen Rahmen und kein Training, nur Überzeugungen und den Willen, diese zu verteidigen. Darum kann er so gefährlich und mächtig sein, flexibel, anpassungsfähig und schwer zu verfolgen. Unsere Einstellungen müssen dieser Schlichtheit gleichen. Dies wird sich in unseren Strategien und Maßnahmen widerspiegeln und letztendlich die Auswirkungen, die der romantische Reiz des Terrorismus auf Einzelne hat, eindämmen. Unsere Reaktion auf Terrorismus muss gemäßigt sein – aber nicht beschränkt – fokussiert, flexibel und praktisch. Die Reaktion darf nicht aus kurzfristigen politischen Gewinnen erwachsen, sondern muss einem größeren Plan entstammen, der die Missstände einer Gesellschaft berücksichtigt und diese horizontal anspricht. Erst wenn die Ressourcen und Mittel sich in der Terrorismusbekämpfung tatsächlich ergänzen werden wir das effektive Sicherheitsnetz haben, das die Auswirkungen von Radikalisierung und Terrorismus wirklich mildert.